KONKLUSION

In den letzten Jahren haben sich bekannte Persönlichkeiten zu Wort gemeldet, die vor dem Einsatz von Künstlicher Intelligenz (KI) warnen1

Stephen Hawking, Bill Gates, Elon Musk, 19.8.2015: https://www.independent.co.uk/tech/stephen-hawking-elon-musk-and-others-call-for-research-to-avoid-dangers-of-artificial-intelligence-9972660.html
Steve Wozniak, Elon Musk, 29.3.2023: https://www.euronews.com/next/2023/03/29/profound-risk-to-humanity-elon-musk-and-steve-wozniak-join-calls-to-halt-ai-development
Sam Altman, 17.5.2023: https://www.euronews.com/next/2023/05/17/openais-sam-altman-calls-for-regulation-amid-fears-ai-could-cause-significant-harm-to-the-
Geoffrey Hinton, 22.5.2024: https://www.businessinsider.de/bi/risiken-bis-zur-ausloeschung-der-menschheit-experten-warnen-vor-ki
. Die Befürchtung, dass Künstliche Intelligenz eines Tages die Menschheit überflügeln, die Macht übernehmen oder uns auslöschen könnte, wird offen diskutiert. Dieses Szenario hat Hollywood bereits im Jahr 1927 aufgegriffen. Es setzt allerdings die Existenz einer superintelligenten KI voraus. Eine «Superintelligenz» geht über die menschliche Intelligenz hinaus. Sie beschreibt eine KI, die in weiten Bereichen der menschlichen Wissenschaft, Kunst, sozialer Interaktion oder strategischer Planung. Wir sind heute weit davon entfernt, eine «Superintelligenz» zu besitzen oder zu bauen. Aber letztlich kann niemand dieses Zukunftsrisiko komplett verneinen oder bejahen. Es hängt stark davon ab, wie sich die Computertechnologie entwickelt und was wir Menschen damit machen.
Würde es etwas bringen, wenn Christen sich dieser neuen Technologie (KI) verschliessen, weil es ein fatales Restrisiko gibt? Diese Frage kann klar mit «Nein» beantwortet werden. Auch wenn sich Teile der Menschheit einer Technologie verschliessen (vgl. Amish People ), so wird sich KI dennoch weltweit ausbreiten und jeden direkt oder indirekt betreffen. Sprichwörtlich lässt sich die geöffnete «Büchse der Pandora» nicht mehr schliessen.
Viele führende KI-Forscher sind sich der potenziellen Risiken bewusst und arbeiten aktiv da-ran, Systeme zu entwickeln, die sicher und ethisch sind. Es gibt zahlreiche Organisationen und Forschungsinitiativen, die sich mit der sogenannten «sicheren KI» beschäftigen, um sicherzu-stellen, dass KI-Systeme kontrollierbar bleiben und den menschlichen Interessen dienen. Auch arbeiten Regierungen in der ganzen Welt an Regulierungen und ethischen Standards für KI. Doch auch diese Anstrengungen werden nicht verhindert können, dass KI auch destruktiv eingesetzt wird.
Christen können sehr wohl dazu beitragen, den Missbrauch von KI zu reduzieren und die Risi-ken zu mindern, indem sie ethische Prinzipien und ihren Glauben als Leitlinien für den verant-wortungsvollen Einsatz von Technologie einsetzen:
a) Ethische Grundsätze fördern: Christliche Werte wie Ehrlichkeit, Integrität und Nächstenlie-be können als Massstab dienen, um sicherzustellen, dass KI auf verantwortungsvolle und gerechte Weise entwickelt und genutzt wird.
b) Aufklärung und Bildung: Eine Möglichkeit, Missbrauch von KI zu verhindern, ist die Aufklä-rung in Gemeinden und kirchlichen Netzwerken über die Chancen und Risiken der KI. Chris-ten können dabei helfen, ein Bewusstsein für ethische Fragestellungen zu schaffen und Diskussionen über die moralischen Implikationen von KI zu führen.
c) Vorbild im verantwortungsvollen Umgang mit Technologie sein:
Christen können ein Vorbild im Umgang mit KI sein, indem sie zeigen, wie Technologie ver-antwortungsvoll und zum Wohl aller eingesetzt werden kann. Dies umfasst auch die kriti-sche Auseinandersetzung mit den Grenzen und Gefahren von KI.
d) Technologischer Dienst am Menschen:
Christen könnten KI als Werkzeug verstehen, das dazu dient, das Leben von Menschen zu verbessern. Die Förderung von Gesundheitswesen, Umweltschutz und Bildung zur Ar-mutsbekämpfung, unterstützt durch einen bewussten Einsatz von KI, spiegelt christliche Tugenden wider.
e) Politisches und gesellschaftliches Engagement: Christen können sich für politische Rah-menbedingungen und rechtliche Regelungen einsetzen, die den Missbrauch von KI ein-schränken und einen ethischen Einsatz fordern.
Gott hat uns Menschen schon im Garten Eden aufgetragen, die Erde zu bebauen und zu be-wahren . Zu diesem Zweck hat die Menschheit seit jeher Werkzeuge (Tools) verwendet, die wir dank unseres von Gott geschenkten Verstandes entwickeln konnten. Die ganze Bibel lehrt uns, unsere Ressourcen in Verantwortung vor Gott und zum Wohle unserer Mitmenschen einzuset-zen . Obwohl jedes Werkzeug sowohl zum Guten als auch zum Bösen verwendet werden kann (vgl. die Erfindung des Messers), sind wir aufgerufen, einen Unterschied zu machen und unsere Gaben positiv einzusetzen. KI ist eben ein solches Werkzeug, das viel Gutes, aber auch Schlechtes in dieser Welt bewirken kann. Gott lehrt uns, verantwortungsvoll mit den uns an-vertrauten «Talenten» umzugehen und sie zu vermehren, anstatt sie zu vergraben.
Wir sind heute an einem Punkt angelangt, an dem die Frage nicht mehr lautet, ob wir KI einset-zen, sondern wie und wo wir KI einsetzen. Kirchliche Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter nutzen diese Technologien längst, wenn auch nicht immer klar deklariert. Wo es keine Führung dies-bezüglich gibt, wird die Technologie nach eigenem Gutdünken und nach eigenen Massstäben eingesetzt. Kirchenleitungen sollten sich daher diesem Thema stellen. Das vorliegende Ar-beitspapier soll dazu eine Diskussionsgrundlage bieten, auch wenn es nicht alle Antworten liefert.

Und wie können wir als Christen Künstliche Intelligenz verantwortungsvoll einsetzen?
(1) Indem wir unseren Pfarrern, Pastorinnen und Mitarbeitenden das nötige Wissen, Richtli-nien und Werkzeuge für den Umgang mit KI zur Verfügung stellen.
(2) Indem wir KI als Assistenten einsetzen und ihre Arbeit und Resultate immer kritisch hinter-fragen.
(3) Indem wir uns fragen, was dem Guten dient, und auf dieser Basis über den Einsatz von KI entscheiden.
(4) Indem wir den Einsatz von KI immer transparent machen und die ursprünglichen Quellen der Informationen deklarieren.
(5) Indem wir uns an die Gesetzgebung halten und den Datenschutz, den Schutz der Pri-vatsphäre und das Urheberrecht beachten und biblisch christliche Werte einbeziehen.

Zukunftsperspektive
Wir müssen davon ausgehen, dass die Durchdringung unseres beruflichen und privaten Alltags mit KI noch massiv zunehmen wird. In fast allen Berufszweigen wird massiv in KI investiert und die Generationen Z und Alpha wachsen mit KI so selbstverständlich auf, als wäre das Werkzeug schon immer da gewesen.
Der Übersetzungsknopf im Ohr, den es bis vor Kurzem nur in Science-Fiction-Filmen gab, das selbstfahrende Auto, der persönliche Assistent, der den Friseurtermin bucht, die KI-basierte Lieferdrohne, intelligente Haushaltsroboter oder Geräte, welche die Vitalwerte überwachen und entsprechend sinnvoll reagieren können – all diese Technologien sind bereits als Prototy-pen verfügbar oder befinden sich im Entwicklungszyklus zur Marktreife.
In der kirchlichen Landschaft sind solche zukunftsweisenden KI-Entwicklungen heute sehr spärlich gesät – das Potenzial ist aber gross. Beginnen wir gemeinsam visionär zu denken: Wie können wir diese Ressource in der Verantwortung vor Gott, zum Wohl unserer Mitmenschen und zur Unterstützung und Entlastung unserer Mitarbeitenden so einsetzen, dass sie zum Se-gen wird?

Jeder soll den anderen mit der Gabe dienen, die er von Gott bekommen hat. Wenn ihr das tut, erweist ihr euch als gute Verwalter der Gnade, die Gott uns in so vielfältiger Weise schenkt.

THESEN & APPELLE
Unser Vorschlag ist, die folgenden Thesen und Appelle in eurer Kirche aktiv zu diskutieren.
Thesen:
(1) KI ist ein «Assistent», dessen Resultate hilfreich oder irreführend sein können und darum im-mer geprüft werden müssen. Die Verantwortung bleibt immer bei uns Menschen.
(Vgl. Konklusion, Kap. 1.3.1, 3.3.2, 3.5.1, 4.2.3)

(2) KI ist ein Werkzeug und nicht nur einfach gut oder schlecht. KI bietet sowohl Chancen als auch Risiken. (Vgl. Konklusion, Kap. 2.2 These 1+6, Kap. 5 Frage 17)

(3) Als Kirchen haben wir eine Verantwortung, uns mit von Gott geschenkten Gestaltungsmög-lichkeiten (hier: Technologien wie KI) auseinanderzusetzen und sie reflektiert und aktiv in Ver-antwortung vor Gott und zum Wohle der Menschen einzusetzen. (Vgl. Konklusion, Kap. 1.3, Kap. 2.2 These 11, Kap. 3.5, Lausanne IV Art 94 )

(4) Christen in unserer Gesellschaft kommen an dem Thema KI nicht vorbei. Ob sie Technologie nutzen oder nicht – beides hat Folgen sowohl für das Gemeindeverständnis als auch für die Gemeindepraxis. (Vgl. Konklusion, Kap. 3.4, 3.5)

(5) Christen sind KI nicht einfach ausgeliefert, sondern können erkennen, wo sie zum Guten ein-gesetzt werden kann, und entsprechend reagieren. (Vgl. Konklusion, Kap. 2.2 These 5, Kap. 3.5.4)

(6) Wenn Leiter sich nicht aktiv mit dem Thema KI auseinandersetzen, werden Mitglieder in der Anwendung Fakten schaffen. (Vgl. Konklusion, Kap. 2.2 These 2, Kap. 3.7)

Appelle:
(7) Nehmt die KI-Diskussion als Gelegenheit, um den Umgang eurer Kirche mit Technologie und Datenschutz zu überprüfen.

(8) Erstellt Leitlinien für eure Kirche bzw. euren Verband im Umgang mit Künstlicher Intelligenz.

(9) Fördert eine aktive Diskussionskultur zum Thema KI in Eurer Kirche.

(10) Prüft, welche Themen lokal und welche auf Verbandsebene diskutiert werden müssen, und initiiert die nächsten Schritte.

EINFÜHRUNG
Autor: Marcel Keller

«KI ist eines der wichtigsten Dinge, an denen die Menschheit arbeitet. Es ist tiefgreifender als Elektrizität oder Feuer» , meint Sundar Pichai und führt weiter aus: «Wir haben gelernt, das Feuer zum Wohle der Menschheit zu nutzen, aber wir mussten auch seine Schattenseiten überwinden.»
Pichai bringt es auf den Punkt: KI wird die Welt und ihre Entwicklung massgeblich beeinflussen und diese Reise wird viele positive, aber auch negative Konsequenzen für die Menschheit mit sich bringen. Das Thema geht auch an Kirchen nicht spurlos vorbei. Im Gegenteil: KI wird heute von kirchlichen Mitarbeitenden genutzt, auch wenn dies nicht immer öffentlich deklariert wird. Wir sind also mittendrin, auch wenn das nicht allen bewusst ist.
Wie können wir darauf reagieren? Besteht Handlungsbedarf? Sollen wir als Kirchen KI fördern oder verhindern? Beat Ungricht, Präsident der Schweizerischen Evangelischen Allianz, sagte dazu: «Wir können uns jetzt mit KI beschäftigen oder warten, bis uns das Thema überrollt.»
Dieses Arbeitspapier wurde erstellt vom Think Tank CornerStone (Research Plattform für christliche Leiterschaft) in Zusammenarbeit mit der Schweizerischen Evangelischen Allianz. Es hat zum Ziel, die Auseinandersetzung mit dem Thema KI in der Kirchenlandschaft zu för-dern, Basiswissen zu liefern und wesentliche Fragen aufzuwerfen und teilweise zu beantwor-ten. Es richtet sich an christliche Kirchen und Werke im deutschsprachigen Raum, an ihre an-gestellten und ehrenamtlichen Mitarbeitenden.
Wir müssen uns darüber im Klaren sein, dass KI die breite Öffentlichkeit erst im Jahr 2022 er-reicht hat (OpenAI Chatbots GPT-3 und 4). Seitdem hat eine Lawine von KI-Anwendungen und -Nutzungen die Technologielandschaft überrollt, die viel grösser und schneller ist, als wir es aus der Vergangenheit gewohnt sind. Diese Entwicklung macht vor den Kirchen nicht halt. KI fordert uns heraus. So hat Papst Franziskus im Jahr 2019 festgestellt: «Künstliche Intelligenz, Robotik und andere technologische Innovationen dürften jedoch nur zum Wohle der Mensch-heit und zum Schutz des Planeten beitragen.» KI fordert uns heraus, Stellung zu beziehen, einen ethischen Umgang mit der Technologie zu definieren und sie für das Gute einzusetzen.
Mit diesem Arbeitspapier möchten wir einen Beitrag leisten, KI in der Kirche zu thematisieren. Wir gehen davon aus, dass KI zum Wohl der Menschen und zum Aufbau des Reiches Gottes eingesetzt werden kann, und möchten die notwendigen Leitplanken aufzeigen, wie das be-wusst und verantwortungsvoll geschehen kann.

Gleichzeitig ist uns bewusst, dass wir in diesem Arbeitspapier nicht alle Fragen zu KI beant-worten können,
• weil das Thema relativ neu ist und uns die langjährige Erfahrung damit fehlt,
• weil die Entwicklung schneller voranschreitet und dieses Papier laufend überarbeitet wer-den müsste,
• weil die Forschung rund um KI und Ethik noch in vollem Gange ist,
• weil sich Entwickler und Regierungen derzeit mit der Regulierung von KI beschäftigen,
• weil es noch wenig angewandte Rechtsprechung zu KI gibt
und nicht zuletzt, weil eine Vielfalt von Meinungen zu diesem Thema durchaus erwünscht und zulässig ist.

Wir haben dieses Dokument für drei Zielgruppen (Rollen) geschrieben und empfehlen, jeweils die für sie vorgesehenen Kapitel zu lesen:
A) Für Pastoren: Kapitel 1 – Grundlagen
Kapitel 2 – Theologie
B) Für Leitungspersonen: Kapitel 1 – Grundlagen
Kapitel 3 – Leitungspersonen
C) Für Mitarbeitende: Kapitel 1 – Grundlagen
Kapitel 4 – Mitarbeitende

Im Kapitel 5 «Frage & Antwort» gehen wir auf die häufigsten Fragen rund um KI ein und im Kapi-tel 6 «Glossar» erläutern wir die wichtigsten Fachbegriffe aus diesem Themenkreis.

Die Autoren möchten an dieser Stelle darauf hinweisen, dass sie teilweise KI für Recherche, Formulierung und Übersetzung eingesetzt, die Richtigkeit der KI-Aussagen jedoch selbst über-prüft haben.
In diesem Dokument wird nicht durchgängig die männliche und weibliche Form verwendet. Die Verwendung der einen Form dient der Vereinfachung, bezieht sich aber immer auf beide Geschlechter.

Wir wünschen spannende Diskussionen in den Kirchgemeinden und Leitungsgremien und Got-tes Segen für weise Entscheidungen rund um das Thema KI.

Fragen und Feedbacks an die Autoren dieses Dokuments bitte an feedback@ki-und-kirche.ch